Eine „Zahlung unter Vorbehalt“ ist kein wirksamer Rechtsbehelf gegen einen Abgabenbescheid


Hinweis für den Leser: Nachfolgend wird begrifflich die Kommunalabgabe (Steuern, Beiträge, Gebühren) abgehandelt, die von Städten und Gemeinden erhoben wird. Die Ausführungen gelten aber sinngemäß auch für Steuern, die das Finanzamt festsetzt, z.B. die Einkommensteuer. Anstelle der VwGO gilt hier die Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung.


Mitunter drücken Abgabenpflichtige ihre Bedenken gegen die festgesetzte Kommunalabgabe in einer „Zahlung unter Vorbehalt“ aus. Hierbei stellt sich die Frage, ob derart geäußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der geforderten Summe als Rechtsbehelf i.S. der Verwaltungsgerichtsordnung zu werten sind.


Rechtsschutz gegen kommunale Abgabenbescheide

Kommunalabgaben sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nach gesetzlichen Vorschriften in Ausübung öffentlicher Gewalt einseitig durch einen Abgabenbescheid erhoben werden. Zahlungspflichtig sind all diejenigen, für die der gesetzliche Tatbestand zutrifft.1)


Vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ist gegen kommunale Abgabenbescheide ein gesetzliches Rechtsschutzverfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eingerichtet. Nach § 40 Abs. 1 VwGO ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.


Einen Monat nach seiner Bekanntgabe wird ein Abgabenbescheid formal bestandskräftig, wenn ihn der Betroffene nicht mit dem Rechtsbehelf des § 69 VwGO angefochten hat. Der Rechtsbehelf kann als „Begehren auf Überprüfung einer behördlichen Entscheidung“ umschrieben werden. Er gibt der Verwaltung die Chance, ihre eigene Entscheidung vor einer gerichtlichen Überprüfung noch einmal selbst zu überdenken. Nachdem ein Abgabenbescheid bestandskräftig geworden ist, sind Änderungen dann grundsätzlich nicht mehr möglich. Die Bestandskraft des Bescheids nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist soll dem allgemeinen Rechtsfrieden dienen.


Das Rechtsbehelfsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO ist geprägt von der Formbedürftigkeit und der Formklarheit.2) Aus § 70 Abs. 1 VwGO ist eindeutig zu entnehmen, dass der Widerspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids schriftlich oder zur Niederschrift zu erheben ist. Ein schriftlicher Widerspruch muss eigenhändig unterschrieben werden. Auch das Protokoll über einen mündlich vorgebrachten Widerspruch muss der Widerspruchsführer unterschreiben. Ohne Unterschrift liegt kein formgültiger Widerspruch vor. Ein telefonischer Widerspruch oder per einfacher E-Mail ist nicht zulässig. In denjenigen Bundesländern, in denen das Vorverfahren abgeschafft wurde, ist anstelle eines Widerspruchs sofort Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht möglich.


Wer Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheids hat, muss einen formellen Rechtsbehelf einlegen. Ansonsten wird der Bescheid rechtswirksam und vollziehbar, selbst wenn die festgesetzte Abgabe eigentlich rechtswidrig ist. Eine „Zahlung unter Vorbehalt“ kann den Rechtsbehelf nicht ersetzen, vor allem werden dadurch die gesetzlichen Anforderungen der §§ 68 ff. VwGO nicht erfüllt. Allein ein entsprechender Vorbehaltsvermerk auf der Überweisung oder in einem besonderen Anschreiben ist nicht als ein ausdrückliches Begehren einer nochmaligen Überprüfung des Abgabenbescheids anzusehen. Vielmehr liegt ein rechtswirksamer Rechtsbehelf nur dann vor, wenn aus der betreffenden Erklärung des Abgabenschuldners hinreichend zu erkennen ist, dass er ausdrücklich eine nochmalige Überprüfung des Abgabenbescheids begehrt.3)


Eine Zahlung unter Vorbehalt ist kein Rechtsbehelf

Die Zahlung unter Vorbehalt ist nach ständiger Rechtsprechung kein Widerspruch und kann diesem nicht gleichgesetzt werden.4) Ohne ausdrücklichen Rechtsbehelf führt eine Zahlung unter Vorbehalt zur Erfüllung des Anspruchs.5) Der Zahlungsvorbehalt hindert vor allem nicht die Rechtskraft (Unanfechtbarkeit) des Abgabenbescheids.6)


Umgekehrt bleibt dem Abgabenpflichtigen bei einer vorbehaltslosen Zahlung und einem formellen Rechtsbehelf sein Rückzahlungsanspruch selbstverständlich erhalten, wenn sich im Rechtsbehelfsverfahren die Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheids erweist. Zudem hat ein Widerspruch gegen einen Abgabenbescheid gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sowieso keine aufschiebende Wirkung, sodass die Erfüllungswirkung der Zahlung vom Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens abhängt.


Kraft landesrechtlicher Verweisung im KAG sind auf Steuerschuldverhältnisse die Vorschriften der AO anzuwenden. Abgabenansprüche erlöschen gemäß § 47 AO durch Zahlung. Einen Zahlungsvorbehalt, der die schuldbefreiende Wirkung der Zahlung verhindert, kennt die AO nicht.7)


Es ist davon auszugehen, dass sich derjenige, der mit der festgesetzten Kommunalabgabe nicht einverstanden ist, mit dem Bescheid und dessen Inhalt auseinandersetzt und dabei auch die Rechtsbehelfsbelehrung liest. Daraus kann er unmissverständlich entnehmen, dass eine Anfechtung des Bescheids nur durch einen formellen Rechtsbehelf möglich ist. Wenn der Abgabenschuldner unter Vorbehalt zahlt und ausdrücklich keinen formellen Rechtsbehelf einlegt, braucht sich die Gemeinde nicht bei ihm erkundigen, wie der Zusatz des Zahlungsvorbehalts zu verstehen sei. Vor allem gibt es auch keine Hinweispflicht der Gemeinde an den Abgabenschuldner, dass sein Zahlungsvorbehalt sich nicht auf die Rechtskraft des Bescheids auswirkt. Es ist eine Obliegenheit des Abgabenschuldners, Verfahrenserklärungen eindeutig abzugeben.8) Eine „Zahlung unter Vorbehalt“ wird regelmäßig dahin auszulegen sein, dass der Abgabenschuldner Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung zum Ausdruck bringen will. Dieser Vorbehalt ist aber ohne Bedeutung und hindert die schuldbefreiende Wirkung nicht; er ist vielmehr nur als die Ankündigung eines Rechtsbehelfs auszulegen.9) Allein diese Ankündigung ist wirkungslos, wenn kein formeller Rechtsbehelf folgt. Die Geltendmachung des Vorbehalts führt bei versäumter Rechtsbehelfsfrist auch nicht zur Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.10)


Nachdem ein Zahlungsvorbehalt die Bestandskraft eines Abgabenbescheids nicht beeinträchtigt, kann der Abgabenpflichtige seine Zahlung später nicht mehr zurückfordern.11) Ein Erstattungsanspruch nach Treu und Glauben entsteht demzufolge nicht, wenn kein rechtswirksamer Rechtsbehelf eingelegt wurde. Sonst hätte es ja der Abgabenschuldner in der Hand, durch einen Zahlungsvorbehalt die Bestandskraft des Abgabenbescheids zu verhindern.



  1. Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rdnr. 1.

  2. BVerwG v. 8.12.1977 – VII B 76.77, NJW 1978, 1870 = MDR 1978, 600.

  3. So schon BFH v. 20.2.1962 – I 10/58 S, BStBl 1960 III S. 145 = BFHE 70, 388 = NJW 1960, 2119.

  4. BVerwG v. 30.6.1972 – VII C 36.70, StRK GewStG § 27 Nr. 4, v. 18.8.1972 – VII C 57.70, KStZ 1973, 37 = HFR 1973, 90 = DB 1973, 556 und v. 8.12.1977 – VII B 76.77, NJW 1978, 1870 = MDR 1978, 600; BFH v. 6.2.1996 – VII R 50/95, BStBl II 1997, 112 = BFHE 179, 556; Nds. OVG v. 1.4.1998 – 7 L 3155/96, juris; OVG NRW v. 11.4.2011 – 8 A 589/10, DAR 2011, 427; VG Freiburg v. 27.7.1984 – 3 K 65/84, Wohnungseigentümer 1985, 22.

  5. BFH v. 28.4.1992 – VII R 33/91, BStBl II 1992, 781= BFHE 168, 206; VG Weimar v. 2.7.2008 – 3 K 957/06 We, ThürVBl 2009, 44; Schwarz, AO, 2011, § 47 Rz. 17; Tipke/Kruse, AO, 2011, § 47 Tz. 5a; aA Klein, AO, 2009, § 47 Rz. 4.

  6. Tipke/Kruse, § 224 Tz. 8; Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, 2010, § 224 Rz. 22; OVG NRW, Beschluss v. 30.4.2013 – 15 A 621/13.

  7. BFH v. 14.8.1987 – III B 4/87, BFH/NV 1988, 105 und v. 28.4.1992 – VII R 33/91, BStBl II 1992, 781 = BFHE 168, 206; Bay VerfGH v. 12.10.1999 – Vf. 5-VI-98, NVwZ-RR 2000, 194 = BayVBl 2000, 369 = KKZ 2004, 102; Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 47 Rz. 24.

  8. VG Köln v. 20.11.2001 – 25 K 7802/00, juris.

  9. BFH v. 6.2.1996 – VII R 50/95, BStBl II 1997, 112 = BFHE 179; Leopold/Madle/Rader, AO, 2011, § 224 Rz. 4.

  10. BFH v. 9.5.1963 – V 106/59, StRK RAO § 86 R. 99; Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 224 Rz. 22.

  11. Leopold/Madle/Rader, § 224 Rz. 4; Meier, Zahlung kommunaler Abgaben „unter Vorbehalt“ aus rechtlicher Sicht, KKZ 2003, 138.



Rechtsstand: Juli 2013

© IKV Erwin Ruff

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